GOTHA: Heinrich LEWIN, 1876-

 Was Wir Wissen:
Geburtsname
: Lewin
Vorname: Heinrich
Geburtsdatum/Geburtsort: 6. September. 1876. Gnesen, Poznan
Todestag/Todesort: Genauer Todestag unbekannt
Gestorben im Alter von:  66 Jahren bei Deportation

Heinrich Lewin wurde am 26. September 1876 in Gnesen, Posen, geboren. Sein Vater war Michaelis Lewin (1844) und seine Mutter war Minna geb.Spritz. Michaelis und Minna hatten fünf Söhne. Ihr erster Sohn Siegfried, geboren 1874, starb kurz vor seinem ersten Geburtstag. Ein Jahr nach ihrem ersten Sohn bekamen sie Hugo (1875), dann Heinrich (1876), Paul (1879) und Max (1880). For the English text, click here. 

Michaelis starb am 25. Dezember 1918 im Alter von 74 Jahren. Er wurde in Neue Halle begraben. Das genaue Todesdatum von Minna ist nicht bekannt, aber laut Michaelis‘ Nachruf war sie noch am Leben, als er starb. Minna starb vor dem Holocaust, sie wird in keiner Gedenkdatenbank und in keinem Archiv erwähnt.

MyHeritage, obituary, Michaelis Lewin, 1918

Heinrich arbeitete als Geschäftsmann.  Vielleicht landete er durch seinen Beruf in Berlin, dort lernte er Else geb. Bach (08.06.1890). Else war zuvor mit Max Marcus verheiratet und hatte einen Sohn, Rudi Marcus (08.05.1913), geboren in Berlin. Max Marcus fiel während des Ersten Weltkriegs und ließ Else als Witwe zurück, die ihren erst ein Jahr vor Kriegsbeginn geborenen Sohn aufziehen musste.

Heinrich heiratete Else am 26. August 1920. Sie heirateten in Berlin.

Ancestry, Marriage Certificate, Berlin 1874-1936, Heinrich Lewin

Bald nach ihrer Heirat ließen sich Heinrich, Else und Rudi in Gotha nieder. Im Jahr 1922 begrüßten sie ein neues Familienmitglied, Alfred Lewin, geboren am 2. April 1922 in Gotha.

Nur ein Jahr vor der Machtübernahme der Nazis in Deutschland machte Rudi sein Abitur am Gymnasium Ernestinum in Gotha. Im selben Jahr war  Heinrichs älterer Bruder Hugo Vorsitzender des Synagogenausschusses in Gotha.

Historic Postcard with photo of Synagoge, Gotha. Photo: Hahn, 2005.

Im Jahr 1933 erreichte die Zahl der jüdischen Einwohner mit 494 Personen ihren Höchststand. Kurz darauf begann die Zahl aufgrund der beginnenden NS-Zeit und der Eskalation der gezielten Diskriminierung und Gewalt gegen Juden in Gotha und in ganz Deutschland zu sinken.

Mitglieder der Familie Lewin flohen aus Deutschland, um dem Nazi-Regime zu entkommen. Unmittelbar nach seinem Schulabschluss 1932 erwarb Rudi Marcus einen Reisepass und konnte 1934 nach Palästina auswandern. Sein Einreisedatum nach Palästina war der 30.04.1934. Rudi emigrierte mit seiner Frau Ursula geb. Löwenstein (27.05.1917).

Vier Jahre nach seinem Bruder emigrierte Alfred Micha Lewin nach Palästina. Seine erste Einreise nach Palästina ist für den 19. September 1938 im Alter von 17 Jahren verzeichnet.

MyHeritage, Alfred Lewin around age 20
MyHeritage, Mandatory Palestine, Naturalization application, Alfred Lewin

Max Lewin, der jüngste Bruder von Heinrich, lebte in den 1930er Jahren in Hannover. Nachdem er am 11. November 1935 in Hannover seinen Reisepass erhalten hatte, konnte er nach Brasilien auswandern, wo er am 24. Februar 1939 eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung erhielt.

MyHeritage, Immigration Card, Brazil, Max Lewin

Während Rudi, Alfred und Heinrichs Bruder Max erfolgreich aus Deutschland nach Palästina fliehen konnten, gelang es Heinrich und Else nicht, Deutschland zu verlassen. Ob sie einen Antrag auf Auswanderung gestellt haben, ist nicht bekannt, da es keine Auswandererkartei gibt.

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In der Kristallnacht 1938 wurde die Synagoge in Gotha niedergebrannt. In Gotha wurden 52 jüdische Männer verhaftet, von denen 28 nach Buchenwald überstellt wurden.  Ob einer der Männer der Familie Lewin bei den Ereignissen im  November 1938 deportiert wurde, ist nicht bekannt.  1939 lebten nur noch 80 jüdische Einwohner in Gotha, 414 weniger als 1933.

Am 10. Mai 1942 wurden Heinrich und Else von Gotha aus in das Ghetto Belzyce deportiert. Über die Deportationsliste vom 10. Mai 1942 hinaus gibt es keine weiteren Unterlagen über ihren Aufenthaltsort oder ihr Schicksal.

 

Arolsen Archives, 128450755 Heinrich Lewin    
Arolsen Archives, 128450590 Heinrich Lewin

Heinrichs Bruder Hugo, obwohl nur ein Jahr älter als Heinrich, wurde als zu alt für die Deportation ins Ghetto Belzyce angesehen und stattdessen ins Ghetto Theresienstadt deportiert. Am 9. September 1942 wurde Hugo gezwungen, einen Vertrag mit der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland (RV) zu unterzeichnen, in dem er sein gesamtes verbliebenes Vermögen an die RV abtrat. Der Vertrag wurde Heimeinkaufvertrag genannt und sollte Hugo und seiner Frau Anna Lewin geb. Rosenberg  im Ghetto Theresienstadt Unterkunft, Verpflegung, ärztliche Betreuung und sonstige Versorgung gewähren. Stattdessen floss das an die RV gezahlte Geld direkt in die Kassen der Nazis, und Hugo und Anna erhielten nichts von der versprochenen Versorgung. Hugo und Anna wurden am 20. September 1942 von Leipzig nach Theresienstradt deportiert. Sie wurden beide im Ghetto Theresienstadt ermordet.

Arolsen Archives, Heimeinkaufvertrag, 128186262 Hugo Lewin
Arolsen Archives, Deutsche Bank Gotha, 128186264 Hugo Lewin

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Die Einbürgerungsurkunden von Rudi und Ursula für Palästina wurden am 16. Mai 1941 angenommen. Rudi und Ursula hatten drei Kinder. Rudis letzter bekannter Wohnsitz war im Kibbuz Dahlia, wo er am 5. September 1992 starb.

MyHeritage, Certificate of Naturalization Palestine, photo of Rudi Marcus and wife Ursula geb. Löwenstein

Am 14. Dezember 1942 erhielt Alfred seine Einbürgerungsurkunde von der Regierung Palästinas. Später, am 2. November 1954, wanderte er von Israel nach Rio de Janeiro in Brasilien ein. Er arbeitete als Landwirt.

Ancestry, Immigration Card, Brazil. Alfred Micha Lewin.

Heinrichs Bruder Max lebte den Rest seines Lebens in Brasilien und starb am 19. Februar 1969 in São Paulo. Er war verheiratet und hatte einen Sohn.

Das Schicksal von Heinrichs jüngerem Bruder Paul Lewin (geb. 1879) ist unbekannt.

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Heinrich und Else wurden im Holocaust ermordet. Für sie wurde in Gotha in der Waltershäuser Str. 36 ein Stolperstein verlegt.

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Stolperstein Gotha, Waltershäuser Str. 36, Else Lewin
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Stolperstein Gotha, Waltershäuser Str. 36, Heinrich Lewin